Apple weiß seit iOS 7 nicht, wohin das UI-Design hingehen soll
Apple steht zur Zeit im Wandel: Steve Jobs’ Nachfolger versucht eher, Produkte für die Massen zu machen, als Produkte, die durchdacht sind. Die Größe der iPhones, die in zwei Optionen aufging (und die bisherige Größe ganz abschaffen), ist nur ein Beispiel davon. Das iPad Pro, dass unter Steve Jobs höchstens „iPad Plus“ geheißen hätte, ein weiteres. Doch während das Design bei der Hardware-Linie auf bestehendes aufbaut, versucht man, das Design der Software-Linie neu zu erfinden und scheitert daran. Das sorgt für eine ziemliche Unruhe.
Mit dem Tod von Steve Jobs kam auch der Rauswurf von Scott Forstall, dem Hauptverantwortlichen für die iOS- und OS X-Entwicklung. Und mit diesem Rauswurf kam ein nicht wiederzuerkennendes iOS in der Version 7, das UI-Design wurde jemandem überlassen, der als Künstler und Hardware-Designer sicherlich eine herausragende Persönlichkeit ist, in der UI-Welt jedoch nichts zu suchen hat.
Eine klare Linie
iOS bis zur Version 6 setzte auf Beständigkeit. Wer die letzte Version unter dem alten Design noch in Erinnerung hat, wird ein wenig staunen, wenn er sich die Keynote zum ersten iPhone ansieht, wie gleich das Design doch der ersten Version ist. Statt bekanntes auszutauschen, wurde hauptsächlich hinzugefügt. Die skeumorphistische Linie war sicher gewagt, jedoch ein Alleinstellungsmerkmal. Sie hob sich von der Konkurrenz ab, war fast durchgängig durchdacht und wirkte wie ein zeitloses Design.
Das ungeschriebene Gesetz, dass manche Technik kurz vor ihrem Ende nochmal eine letzte Blütephase erlebt, traf auch auf die letzten Werke von Scott Forstall zu. Meine Mutter bekam vor einigen Jahren einen Mac Mini mit Mountain Lion geschenkt. Für sie als jahrelange Windows-Nutzerin bedeutete das zwar Eingewöhnung, jedoch auch die Erfahrung, dass man dem System vertraut und gewisse Sachen überlässt, denn das Konzept war durchaus durchdacht. Als sie über ein Jahr später ein iPhone 3GS mit iOS 6 bekam, fand sie sich fast von selbst zurecht, denn Mac- und iPhone-System waren in diesen Versionen in vielen Punkten nahezu gleich aufgebaut und behielten trotzdem den Abstand, den „Desktop“-System und Mobil-System voneinander benötigen. Auch das war gemeint, wenn man vom Apple-Ökosystem sprach.
Der Bruch mit iOS 7
Dann kam iOS 7: Widersprüchliche Konzepte. Mehr UI-Effekte. Schaltflächen, die nicht mehr als solche ersichtlich waren. Mehr Text statt Icons. Transparenz ohne Ende, dafür keine Schatten mehr. Icons, von denen mancher behauptete, sie wären in Paint gestaltet worden, und deren Farben scheinbar von einer Standardpalette stammten. Irgendwie wirkte alles wesentlich zweidimensionaler und wie ein Abklatsch bekannter Designs. Und das ganze widersprach schon fast Apples eigenen Human Interface Guidelines. Ein Kommentar zum neuen Design behauptete, Jonny Ive wäre erst zufrieden, wenn der Mac nur noch ein weißes Bild zeige und man erraten müsse, wo der Mauszeiger sei. Viele Entwickler kritisierten die Entwicklung und forderten, das alte Design zu retten. Doch statt an bewährtem festzuhalten und es weiterzuentwickeln, warf man vieles über Board, auch Überlegenheiten gegenüber anderer Oberflächen.
Im Vergleich zu den vorigen Versionen wirkte iOS 7 wie Windows 8: Oberflächlich war alles neu, aber so minimal wie andere Designs und daher kaum von diesen abzugrenzen. Doch wer das System einige Zeit nutzte, merkte, dass sich außer dem Design nichts geändert hatte. Ähnlich wie bei Windows 8 wurden mit späteren Updates die dämlichsten dieser Entscheidungen wieder rückgängig gemacht oder durch neue bzw. weiter entwickelte Konzepte ersetzt.
Das OS X-Pendant zu iOS 7 in der Version 10.9 Mavericks wirkte hier ziemlich verloren: Die Zeit reichte nicht, das Design komplett anzupassen (das kam erst schrittweise mit OS X 10.10 Yosemite), stattdessen entfernte man lediglich ein paar Design-Artefakte wie den Leinen-Hintergrund und passte die Symbole der neuen Anwendungen dem iOS 7-Stil an, beließ es aber bei einer runden Form.
Fortschritt ist nicht aufzuhalten
Doch auch unter dem alten iOS-Design gab es einige Entwicklungen. Aktualisieren-Schaltflächen wurden durch Überziehen einer Liste nach oben ausgetauscht, die Ein/Aus-Slider wurden rund. Dennoch hielten sich die Änderungen in einem kleinen Rahmen und galten als durchdachter Fortschritt, nicht als Überarbeitung.
Vieles entsprach dem ursprünglichen Apple-Prinzip der Einfachheit: Die sichtbaren Funktionen entsprechen den am meisten benötigten, die restlichen sind verdeckt. (Das Gegenteil davon sind die Symbolleisten in Office bis zur Version 2003.) Das AirPlay-Symbol wird nur angezeigt, wenn ein AirPlay-fähiges Gerät im Netzwerk verfügbar ist, ansonsten ist davon im ganzen System nichts zu sehen. Wozu auch?
Im Gegensatz dazu dürfen sich Nutzer nun von der Apple Watch-App nerven lassen, die ohne Apple Watch nur Werbung ist. Warum konnte man hier nicht eine eigene App zum Download anbieten, wie man das mit den Podcasts machte, als diese aus der Musik-App entfernt wurden?
Eine klare Trennung gab es auch zwischen Funktionalität und Inhalt: Die Notizen-App zeigte den Inhalt der Notiz in einer Schrift, die nach handgeschriebenem aussah, ohne so abgedroschen wie Comic Sans zu wirken. Seit iOS 7 ist der Inhalt der Notiz nicht mehr vom restlichen Text zu unterscheiden. Und die Transparenzeffekte sorgen in vielen Fällen auch dafür, dass sich Inhalt und Funktionalität vermischen.
Unruhe seit iOS 7
Seit der Einführung von iOS 7 wurde das Design nicht nur drastisch geändert, die Änderungen ziehen sich auch durch die späteren Updates, das System wirkt unruhig. An vielen Stellen hatte man zunächst das Gefühl, dass versucht wurde, so weit wie möglich von der Version 6 wegzukommen, zu Lasten der Nutzbarkeit. Während die Oberfläche bisher in der Hinsicht minimalistisch war, dass weniger wichtige Funktionen nicht sofort präsent waren, setzte man nun eher darauf, alle Funktionen zu präsentieren, dafür mit minimalistischen Design-Elementen.
Leicht wiederzuerkennende Symbole wurden an vielen Stellen weggeschmissen, um durch Text ausgetauscht zu werden. Ein Extrem davon war das Annehmen von Anrufen unter iOS 7: Statt einem Symbol wurde lediglich ein Rechteck mit Text angezeigt, der zum Wischen aufforderte. Das wurde bereits in einem späteren iOS 7-Update wieder rückgängig gemacht. Bei der Musik-App dauert es für „Wiederholen“ und „Zufällig“ bis zur Einführung von Apple Music, bis man erkannte, dass Symbole hier nicht nur einfacher waren, sondern auch viele Probleme verhinderten, beispielsweise dass der Text in manchen Sprachen ineinander lief („Wiederholen“ ist ja leider auch ein langes Wort). Absurd wurde das ganze in Thai, wo teilweise gar kein Text mehr angezeigt wurde.
Schließlich kam auch noch eine Tipps-App, die Tipps zu Verwendung des Systems geben soll. Das wäre unter älteren Versionen nicht denkbar gewesen: Die UI war so umgesetzt, dass sie nur weniger Hinweise zur Bedienung benötigte.
Während iOS bis zur sechsten Version konsistent war, kann man seit iOS 7 selbst mitverfolgen, wie Apple selbst herumexperimentiert, sich dem Trend des minimalistischen Designs anzupassen versucht und gleichzeitig sich noch von anderen abheben möchte. Noch nie gab es so viele Designänderungen, selbst in kleinen Updates. An vielen Stellen werden Abstände entfernt, an anderen Stellen werden Abstände hinzugefügt, obwohl sie für die Nutzbarkeit gar nicht von Bedeutung sind. Selbst in iOS 9 ersetzt Apple die Designs einiger Funktionen wieder durch komplett neue, beispielsweise im Task-Manager.
Wohin geht die Reise?
Das alte iOS-Design war sicherlich nicht bis zum Ende ausgereift oder vollständig durchdacht. Aber es war weitgehend konsistent und wirkte auf den Nutzer, als sei es durchdacht. Und es war lange noch nicht an dem Punkt, an dem man es nicht mehr weiterentwickeln hätte können.
Apple hat mit iOS 7 leider beschlossen, das alles über Board zu werfen und etwas neues anzufangen. Und anstatt diese Entscheidung im Nachhinein zu hinterfragen oder stur daran festzuhalten, experimentiert man herum, kehrt nur im Kleinen wieder zurück zu alten, durchdachten Artefakten und entwickelt noch seltener neue, durchdachte Artefakte. Es bleibt zu hoffen, dass irgendwann wieder an das angeknüpft wird, wo man mal auf dem richtigen Wege stehengeblieben war.